Symmetrische und unsymmetrische Verbindungen
Die Unterscheidung zwischen symmetrischen und unsymmetrischen Signalübertragungen ist fundamental für die Störsicherheit und Signalqualität in professionellen Audiosystemen.
1. Unsymmetrische Übertragung (Unbalanced)
1.1. Grundprinzip
Zwei-Leiter-System:
- Hot/Signal: Trägt das Nutzsignal
- Ground/Masse: Referenzpotential und Rückleiter
1.2. Typische Anschlüsse
- TS-Klinke (Tip-Sleeve): 6,3 mm Mono-Klinke
- RCA/Cinch: Consumer Audio-Standard
- BNC: Hochfrequenz-Anwendungen
1.3. Schirmung
Koaxial-Aufbau:
- Innenleiter: Signal
- Schirm: Masse und Abschirmung gegen äußere Störungen
- Dielektrikum: Isolation zwischen Innen- und Außenleiter
1.4. Charakteristische Probleme
Störeinkopplung:
- Kapazitive Einkopplung: Hochfrequente Störungen
- Induktive Einkopplung: Niederfrequente Magnetfelder (50 Hz Brumm)
- Längenabhängigkeit: Störungen verstärken sich mit der Kabellänge
Erdschleifen (Ground Loops):
Quelle ----[Signal]---- Ziel
| |
+---[Kabelschirm]-------+
| |
+---[Andere Masse]------+
Resultat: Brummeinstreuung durch unterschiedliche Massepotentiale
2. Symmetrische Übertragung (Balanced)
2.1. Grundprinzip
Drei-Leiter-System:
- Hot (+): Positives Signal
- Cold (-): Invertiertes Signal (180° Phasenverschiebung)
- Ground: Schirm/Masse (führt kein Nutzsignal)
2.2. Differentielle Signalübertragung
Gleichtaktstörungen wirken auf beide Signalleiter identisch und werden durch Subtraktion eliminiert.
2.3. Typische Anschlüsse
- XLR: 3-poliger Standard für professionelle Mikrofone
- TRS-Klinke (Tip-Ring-Sleeve): 6,3 mm Stereo-Klinke für Monoanwendung
- Bantam/TT: Patchfeld-Standard im Broadcast
2.4. Gleichtaktunterdrückung (CMRR)
Common Mode Rejection Ratio:
wobei:
- = Verstärkung des Differenzsignals
- = Verstärkung des Gleichtaktsignals
Typische Werte:
- Gute Eingangsstufen: CMRR > 80 dB
- Sehr gute Eingangsstufen: CMRR > 100 dB
2.5. Transformator-Kopplung
Übertrager bieten:
- Galvanische Trennung: Unterbrechung von Erdschleifen
- Impedanzwandlung: Anpassung verschiedener Impedanzniveaus
- Hohe CMRR: Typisch > 80 dB bis 10 kHz
2.6. Elektronische Balancierung
Aktive Schaltungen:
- Differenzverstärker: OpAmp-basierte Implementierung
- Instrumentenverstärker: Spezialisierte ICs mit hoher CMRR
- Transformatorlose Kopplung: Kostengünstiger, aber weniger robust
3. Störunterdrückung
3.1. Störquellen
Elektromagnetische Interferenz (EMI):
- Sendeanlagen: RF-Einstreuung
- Schaltnetzteile: Hochfrequente Pulse
- Digitale Systeme: Clock-Harmonische
Magnetische Felder:
- Netzfrequenz (50/60 Hz): Transformatoren, Motoren
- Harmonische: Schaltnetzteile, Dimmer
3.2. Wirkungsweise der Symmetrierung
Störsignal-Modell:
Hot: Nutzsignal + Störung
Cold: -Nutzsignal + Störung
Differenzbildung am Empfänger:
Ausgang = (Nutzsignal + Störung) - (-Nutzsignal + Störung)
= 2 × Nutzsignal
Bedingung: Störung muss auf beide Leiter gleich wirken (Gleichtakt)
3.3. Limits der Störunterdrückung
Unsymmetrische Störeinkopplung:
- Verschiedene Leiterlängen in Twisted-Pair
- Ungleiche Impedanzen der beiden Signalleiter
- Kapazitive Unsymmetrien zum Schirm
Übersteuerung:
- Gleichtakt-Eingangsspannung begrenzt durch Versorgungsspannung
- Clipping zerstört Symmetrie und reduziert CMRR
4. Kabel-Design
4.1. Twisted Pair
Verdrillte Leiterpaare:
- Kompensation magnetischer Kopplungen
- Gleiche Einkopplung auf beide Leiter
- Schlag-Länge: Optimiert für spezifische Frequenzbereiche
4.2. Stern-Quad-Kabel
Vier-Leiter-Aufbau:
Hot1
|
Cold1-+-Hot2
|
Cold2
Vorteile:
- Bessere Symmetrie durch redundante Leiterführung
- Höhere Störfestigkeit bei kritischen Anwendungen
- Längere Übertragungsstrecken möglich
4.3. Schirmung
Geflechtschirm: Gute HF-Abschirmung, mechanisch robust Folien-Schirm: Kostengünstig, 100% Abdeckung Doppelschirmung: Kombination aus Folie und Geflecht
5. Impedanz-Aspekte
5.1. Charakteristische Impedanz
Twisted Pair: Typisch 100-120 Ω (differenziell) Professionelle Audio-Leitungen: 75 Ω üblich
5.2. Abschlusswiderstände
Leitungsabschluss bei langen Kabeln:
Audio-Anwendung: Meist nicht erforderlich durch niedrige Impedanzen
6. Anwendungsbereiche
6.1. Mikrofonverbindungen
Standard: XLR symmetrisch Phantomspeisung: +48V zwischen Hot/Cold und Masse Lange Kabel: Bis 100m ohne Signalverschlechterung
6.2. Line-Level-Signale
Professionell: +4 dBu symmetrisch (XLR, TRS) Consumer: -10 dBV unsymmetrisch (RCA, TS)
6.3. Digital Audio
AES/EBU: 110 Ω symmetrisch über XLR S/PDIF: 75 Ω unsymmetrisch über RCA/BNC
6.4. Instrumentensignale
Elektrische Instrumente: Unsymmetrisch (hohe Impedanz) DI-Boxen: Wandlung unsymmetrisch → symmetrisch
7. Messung und Test
7.1. CMRR-Messung
Verfahren:
- Gleichtaktsignal auf beide Eingänge
- Messung des Ausgangssignals
- Vergleich mit Differenzmodus-Verstärkung
7.2. Störabstand-Messung
Signal-to-Noise Ratio bei:
- Verschiedenen Kabellängen
- Verschiedenen Störquellen
- Verschiedenen Impedanzniveaus
7.3. Kabel-Qualifizierung
Parameter:
- Schirmungsqualität (Transfer Impedance)
- Symmetrie (Impedanz-Matching)
- Frequenzgang-Symmetrie
Die Wahl zwischen symmetrischer und unsymmetrischer Übertragung hängt von der Anwendung, Kabellänge und den Störumgebungs-Bedingungen ab. Symmetrische Systeme bieten deutlich höhere Störsicherheit bei geringfügig höherem Aufwand.